Der Wolf ohne Geißlein

 

Es war einmal ein Wolf. Naja… höchstwahrscheinlich war es einmal ein Wolf. Vielleicht auch nicht.

Nun ja, der Wolf. Er suchte seine Gruppe die weiter gezogen war, als er tief und fest schlief.

Sie waren schon lange unterwegs auf der Suche nach einem neuen Zuhause.  Und in dieser Gegend gab es noch keine anderen Wölfe. Das hieß auch: Es gab keinen Ärger mit anderen Wölfen.

 

Zuerst lief es gut. Die Wölfe kamen voran, hatten hier- und da zu fressen und fühlten sich sicher und wohl. Menschen waren nur wenige zu sehen. Hin- und wieder mal einer, der ein komisches Ding vor dem Gesicht hielt. Es machte aber kein Geräusch und so war es für die Wölfe kein Problem.

 

Auf der letzten, kurzen Rast war nun der Wolf- wir nennen ihm einfach mal Bruno… ach nee, das war ja der Bär… wir nennen ihn Hugo- tief und fest eingeschlafen. Als er aufwachte, waren die anderen weg. Keiner mehr da. Also machte er sich auf den Weg und versuchte zu erschnuppern, wo wohl alle hingelaufen waren.

Er hatte ein bisschen die Orientierung verloren, als er zwei riesige leuchtende Augen sah. Ein komisches Tier, das ihn anbrummte.  Er erschrak, aber dann war das Leuchtetier auch ruhig. Aus ihm heraus kam ein Mensch. Und hatte auch so ein komisches Ding vor dem Gesicht. Das kannte Hugo schon, also drehte er sich um und ging seiner Wege.

 

Und wenn er (noch) nicht gestorben ist…

 

Dann möchte ich ihm sagen:

Hugo, Du weißt nicht, dass Menschen Märchen erzählen, in denen ein Wolf erst eine Großmutter frisst,  nur um dann das Enkelkind zu verspeisen. Aber: Sei gewiss: Sie holen sich Hilfe, schneiden Dir den Bauch auf, stecken Steine rein und schmeißen Dich in einen Brunnen. So jedenfalls im Märchen.

 

Heute lieber Hugo, da halten sie sich komische Dinger vors Gesicht (sie nennen sie Handys), machen Bilder von Dir und zeigen sie der ganzen Welt. Aber nicht, weil sie sich über die Bilder freuen. Sondern weil sie Angst vor Dir haben, weil Du weg sollst.

 

Und so bist Du nun zum Abschuss freigegeben. Man darf Dich auch mit Gummigeschossen beballern… zur „Abwehr“. Weil Du auf einem Foto durch das Internet schwirrst… auf dem Du von HINTEN zu sehen bist. Wie Du davon streifst.

Und selbst wenn Du doch nur ein Hund bist, schützt Dich niemand mehr vor der Willkür

Ein Foto hat Dich ins Fernsehen gebracht und die Menschen die es aufgenommen haben. Mehr ist Dein Leben nicht mehr wert.  Zum Abschuss freigegeben.

 

Und wenn Du nicht gestorben bist… dann lebst Du hoffentlich dort, wo Menschen mit Dir umgehen können.

 

©Angela Krüger